Laudatio für Ruthard Stachowske an der EHS Dresden

Vor einigen Wochen rief mich Prof. Dr. Ruthard Stachowske an. Er fragte, ob ich für seine Verabschiedung (am 16. Juni 2025) als langjähriger Professor an der EHS Dresden eine Art Laudatio bzw. einfach ein paar Worte im Rahmen von etwa 30 Minuten halten könne.

Prof. Dr. Ruthard Stachowske
Prof. Dr. Ruthard Stachowske

Dabei sollte es aus seiner Sicht gar nicht so sehr um ihn gehen, sondern tatsächlich mehr um meinen Werdegang und unsere gemeinsamen Begegnungen innerhalb des Studiums Master of Counseling und den Ausbildungen zum Systemischen Therapeuten und Berater mit ihm. Das wichtigste Kriterium für ihn war schließlich, auf die Frage was ich denn da erzählen könnte, keine Lobhudelei über ihn selbst hören zu wollen. Eine weitere Vorgabe war der Titel, auf den ich mich gut und gerne einlassen konnte, „Woher komme ich und wohin gehe ich – eine systemische Analyse,“ auch wenn dieser Titel den klassischen Rahmen einer Laudatio irgendwie auch negiert. (Schließlich richtet sich eine Laudatio ja eher an den Menschen der besprochen wird und weniger an den, der selbst spricht.)

In den folgenden Zeilen stelle ich nun das Skript des Vortrags zur Verfügung, für alle die Interesse daran haben und nicht dabei sein konnten oder einfach nochmal nachlesen wollen.

„Woher komme ich und wohin gehe ich – eine systemische Analyse“ (von Daniel Fabry)

Für mich ist es eine große Ehre hier heute sprechen zu dürfen und ich hoffe, dass ich entsprechend dem Anlass einen würdevollen Beitrag bieten kann. Eine Eigenart von Ruthard ist es ja, seine Studierenden zu fördern indem er sie auch mal fürsorglich ins kalte Wasser schubbst. So ermunterte er mich dazu Zusatzvorträge im Studium zu halten oder auch schon früh Klient:innen zu übernehmen, auch mutete er mir zu – in einem geschützten Setting – die dunkelsten Seiten unserer Gesellschaft auszuhalten oder eben indem er mich heute eingeladen hat den Vortrag zu halten. Vom Beruf her bin ich ja eher Zuhörer und das in kleineren Kreisen. Ich hoffe also, dass das mit dem Reden vor so vielen Menschen auch klappt.

Der Philosoph Prof. Dr. Heiner Mühlmann (HfG Karlsruhe) nannte dieses Schubs- bzw. dieses Lehrprinzip in seinen besonderen Rhetorikvorlesungen damals auch: „Kontrollierte Überforderung.“ Ein Ausdruck den ich in diesem Zusammenhang als passend erachte. Ruthards Schubser waren wie Lockrufe, die mich aus der Komfortzone gelockt haben. Der Angstanteil in mir schrie dabei eigentlich immer “nein”, aber gesagt habe ich immer “ja“, letztlich hat es mich in meiner Entwicklung auch jedes Mal weiter gebracht.

Nach diesen einleitenden Worten unterteile ich den nun folgenden weiteren Vortrag in 3 Abschnitte:

  1. Woher komme ich?
  2. Mein Weg mit Ruthard
  3. Mein Weg mit ohne Ruthard

Woher komme ich?

Ich stelle mich dazu kurz systemisch vor (biografisch, transgenerational, beruflich, etc.):

Transgenerational betrachtet komme ich aus einer lauten, temperamentvollen, ungarischen Akademikerfamilie und ehemals vor drei Generationen auch einer Unternehmerfamilie. Das Unternehmertum in unserer Familie kam allerdings spätestens durch den Sozialismus zum Erliegen.

Der Titel meiner Herkunftsfamilie aus Sicht der Elterngeneration könnte lauten: „Wie wir in den USA Deutsche wurden.“ Eine kleine Erklärung dazu: Die deutsche Staatsbürgerschaft sehe ich bis heute als ein Privileg. Es ist neben der familiären Fürsorge, den akademischen, beruflichen und familiären Errungenschaften – mit vier Kindern in Ungarn, Japan, Deutschland, USA zu leben – eine der großen (formellen) Lebensleistungen, die meine Eltern gemeinsam geschaffen haben.

Als viertes von vier Geschwistern bin ich derjenige, der im Bauch meiner Mutter aus Ungarn ausgewandert ist bzw. wurde, um dann als erster in der Familie auch in Deutschland auf die Welt zu kommen. Dann ging es in die USA und mit 5 Jahren landete ich dann in Deutschland (Bayern) und verbrachte dort meine Schulzeit. Neben vielen prägenden und auch teils belastenden Erfahrungen haben wir unsere Mutter früh an Krebs verloren. Sicherlich führten diese Erlebnisse im Nachgang betrachtet auch dazu, dass ich wohl heute genau diesen Beruf als Familientherapeut – mit Freude – ausübe.

In meiner heutige Kernfamilie lebe ich mit Klara und unseren beiden Kindern seit ungefähr 15 Jahren in Dresden und wir haben uns vielleicht sogar etwas verliebt in diese Stadt und verwurzeln uns hier mehr und mehr.

Beruflich habe ich einen etwas kurvigen Lebenslauf. Manchmal bezeichne ich es auch als Metamorphosen. Arist von Schlippe würde es vielleicht Hyperkontextualität nennen. Von der freien bildende Kunst kommend bin ich nach einem kurzen Intermezzo als Taxifahrer in die freie Wirtschaft gegangen, um dort als Projektleiter und Personalentwickler für einen Telekommunikationskonzern zu arbeiten. Parallel habe ich auch an meinen eigenen Themen gearbeitet, was mich letztlich zur Ausbildung zum Telefonseelsorger geführt hat. Per Zufall entdeckte ich dann mal das Anmeldeformular für die Ausbildung zum Systemischen Berater am SOFI Institut in Dresden und das habe ich aus dem Bauch heraus ausgefüllt und abgeschickt. Dann kam auch schon die Einladung zum Kennenlern- bzw. Bewerbungsgespräch und damit meine erste Begegnung mit Ruthard.

Mein Weg mit Ruthard Stachowske

Ich möchte zu diesem Anlass nicht die Inhalte wiedergeben die ich durch Ruthards Lehre erfasst habe – das kann man ja in seinen zahlreichen Büchern nachlesen – sondern eher die Dinge die er mir in der Begegnung zwischen den Zeilen vermittelt hat. So habe ich versucht meine Überlegungen in ein paar Thesen zu verdichten die ich heute gerne vorstellen möchte. Diese sind in etwa 5 Jahren Studium und Ausbildung bei Ruthard in mir entstanden und mehr oder weniger erst durch den Anlass hier heute reden zu dürfen mir selbst erst so erhellend klar geworden. Insofern kann ich jedem nur empfehlen, vielleicht als eine Art selbst reflektive Intervention, mal so eine Rede für eine wichtige Bezugsperson zu verfassen. Nun zu den Thesen:

1. These: „Manchmal braucht es einen direktiven kleinen Zen-Buddhistischen Wachrüttler, um den Wachstumspfad wiederzufinden.“

Ich hole dazu ein klein wenig aus: Nam Jun Paik, der Begründer der Videokunst wuchs in einer Zen Buddhistischen Familie in Südkorea auf. Bei seiner ersten großen Einzelausstellung in den 1960er Jahren in Deutschland hat er einen frisch abgeschlagenen Ochsenschädel über den Eingang der Ausstellung gehängt um die Besucher:innen in der Tradition des Zen Meisters Wachzurütteln (s. dazu: link)

In meinem Vorstellungsgespräch für die Ausbildung zum Systemischen Berater ging es mir damals ähnlich. Ruthard fragte mich etwas unverhofft, warum ich denn nicht den passenden Master dazu studieren möchte? Meine Antwort lautete. “Das würde ich ja gern, aber ich dachte, das geht sowieso nicht mit meinen bisherigen Studienabschlüssen.” Darauf reagierte Ruthard umgehend und energetisch: „Typisch Deutschland. Wir sollen nicht immer denken was nicht geht, sondern schauen wie man die Dinge angehen kann. Dann könnte sich ja eine Tür für uns öffnen.” Das hat mich erstmal etwas verdutzt und überrascht. Nach kurzem Innehalten haben wir dann ausgemacht, dass ich ihm erstmal alles an Zeugnissen schicken soll, was ich habe und er würde es dann juristisch genau prüfen lassen. Ab dem Moment wollte ich unbedingt diesen Master machen. Ich war also Wachgerüttelt. Das führt mich auch gleich zur zweiten These:

2. These: „Klare verbindliche Abmachungen geben Sicherheit und sind wahrhaftige Fürsorge.”

Zu Wahrhaftiger Fürsorge zählt sicherlich auch empathisches Zuhören, Trost etc., so wie man es in jeglicher humanistisch geprägten Therapieschule lernen würde. Dies sei an dieser Stelle also vorausgesetzt und das Augenmerk auf die Fürsorgekraft verbindlicher Abmachungen gelenkt.

Ich war dann also angefixt bezüglich des Studiums und hatte allerdings die Sorge, dass es nicht klappen könnte oder Ruthard mich gar vergisst. Von der Kunstakademie kommend, die Professor:innen, die ich bisher kannte waren eher unverbindliche Persönlichkeitstypen oder ausgestattet mit einem Habitus ausgesprochener Selbstliebe oder auch beides. Ein Beispiel. Ein Kunstprofessor damals hatte sich in seinen von Steuergeldern finanziertes Atelier an der Kunstakademie einen Whirlpool einbauen lassen und es stolz allen erzählt.

Davon und im Zusammenhang damit von meinen Sorgen erzählte ich Ruthard. Er bot mir daraufhin an, dass ich ihn alle zwei Wochen per SMS nach dem Stand der Bewerbung fragen kann und er mir dann kurz und knapp Auskunft gibt. Und damit würde ich ihn auch nicht nerven hat er mir versichert. Es ging dann einige Wochen in diesem vereinbarten Kommunikations-Prozess hin und her und das gab mir Sicherheit in einer Phase der Ungewissheit – also ob es mit der Aufnahme an der EHS dann tatsächlich klappen würde. Ruthard hielt sich an die Abmachung.

Was Verbindlichkeit und in diesem Zusammenhang eben auch Fürsorge, Vorfreude und letztlich auch Beziehungsfähigkeit ausmacht, hat in meinen Augen noch niemand besser und verständlicher beschrieben als der Fuchs im kleinen Prinzen: „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahren, wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen, wann mein Herz da sein soll […] Es muß feste Bräuche geben.“ (Saint-Exupéry, Antoine de: Der kleine Prinz, 58. Aufl., Düsseldorf: Rauch 2007)

3. These: „Betriebe, Soziale Träger und Familien brauchen klare Strukturen“

Ruthard hat häufig Wert auf folgende Zusammenhänge gelegt: Wenn die Struktur im Betrieb oder im Träger nicht vorhanden ist, dann hat man als Mitarbeiter:in oder als Führungskraft und auch als Supervisor:in eigentlich kaum eine Chance gegen die Gewalt des Chaos und der Konflikte die aus der Übermacht der informellen Ebene resultieren. Es braucht daher klare informelle Strukturen. Das heißt detaillierte, unmissverständliche Stellenbeschreibungen, klare Kompetenzzuschreibungen und verbindliche Prozesse. Ich dachte im Studium dabei insgeheim oft: “Mensch Ruthard, du bist aber streng mit diesen ganzen Regeln.”

Im Rahmen meiner aktuellen Forschung habe ich mich nun allerdings vertieft mit dem Doing Family Ansatz aus der zeitgenössischen Familien-Soziologie beschäftigt. Die Erkenntnis dieser Theorie ist es, dass Zusammenhalt von Familien (insbesondere auch Unternehmerfamilien) müssen heutzutage gemanaged werden, da die gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte eher dazu verleiten, dass Familien sonst auseinanderdriften. Mit den Zentrifugalkräften sind die pluralistischen Entwicklungen unserer Gesellschaft gemeint, also weniger klare Konventionen, die geografischen Möglichkeiten und vergrößerten Radien, technologische und mediale Ablenkung und immer mehr vielleicht auch durch KI etc.

Familie ist also nicht einfach nur durch Biologie oder einmalige Ereignisse wie eine Eheschließung oder Adoption gegeben, sondern Familie muss jeden Tag immer wieder, aus sich selbst heraus, hergestellt werden. (An dieser Stelle könnte man auch eine Verbindbarkeit zur Autopoiese-These bei der Systemtheorie nach Niklas Luhman vermuten.) Um also familiären Zusammenhalt zu Leben ist es wichtig Dinge wie Regeltermine, Paarabende, Zeiten mit den Kindern, eben auch Rituale und vieles mehr zu organisieren, zu managen. Und erst durch dieses Fundament, diese Schale kann die Verbindung, und im Falle des Familiensystems die Liebe, gehalten werden. Eine gute Priorisierung und Organisation erleichtert demnach das (Beziehungs-)Leben. Wir brauchen also klare Strukturen.

4. These: Leistungsfähigkeit: „Wir Menschen können hochleistungsfähig sein. Und das ist auch ok so, unter einer bestimmten Voraussetzung.“

Wer Ruthard Stachowske kennt, weiß von seinem enormen Leistungspensum, welches er lebt und vorlebt. Ich habe das mal bei Ruthard hinterfragt. Eine Begegnung mit ihm nach dem Seminar, nachdem ich ihn aus einer Mischung von Ungläubigkeit und Ehrfurcht gefragt hatte, wie er dieses dichte Pensum überhaupt schaffen kann? Seine Antwort lautete sinngemäß, dass das Leistungsfähigkeitsmaß bei jedem unterschiedlich sein kann. Es ist sozusagen nicht dichotom linearkausal, also wer viel macht, bekommt auch einen Burnout, sondern: Wer viel macht, kann es auch mit Genuss und Leichtigkeit machen, wenn er das macht, was er gern macht. Und zudem mit Struktur und guter Planung.

So war ein Ratschlag bei der Themenwahl für Hausarbeiten oder auch Masterarbeiten „Sucht euch das, wofür ihr auch ein Feuerchen in Euch spürt.“ Wir sollen uns das Arbeitsleben und Studium schön machen. Das führt als Überleitung direkt auch zur nächsten These: Diese betrifft den Kosmos der Wissenschaft.

5. These „Wer in wissenschaftlich Kontexten arbeiten will sollte die betreuenden Personen sehr gut wählen.“

Als der Wunsch in mir wuchs die Doktorarbeit machen zu wollen zeigte sich Ruthards Fürsorge wieder über eine klare Botschaft, im Sinne eines weiteren Zen-buddhistischen Wachrüttlers. Er fragte mich nämlich sehr ernst: “Willst du es wirklich machen? Wenn ja, Sorge dafür Deinen Betreuer gut auszuwählen.” Er fügte dem noch hinzu, dass die Welt der Wissenschaft nicht wirklich systemisch Ressourcenorientiert aufgestellt sei. Logisch, denn sie lebt davon ihre Erkenntnisse und damit auch die Forschenden immer wieder zu hinterfragen. Und das könne sich auch anfühlen, wie an den Pranger gestellt zu sein und teilweise wird es leider auch machtvoll ausgenutzt.

Er hat mir seinen Ernst hinter der Aussage unmissverständlich klar gemacht. Und meine Suche nach einem Erstgutachter hat mich dann tatsächlich ein Jahr gekostet, aber dafür bin ich heute hochdankbar, dass ich mit Prof. Dr. Heiko Kleve jemanden gefunden habe, der als Doktorvater wissenschaftlich präzise ist, aber auch verbindlich, hilfsbereit, fördernd und präsent. Gleiches gilt auch für meinen Zweitgutachter Prof. Dr. Thomas Kühn von der IPU Berlin.

Mein Weg mit ohne Ruthard

Im dritten Abschnitt meines Vortrags geht es also um die Phase des Aus-Dem-Nest-Geschubst-Seins. Der Titel “Mein Weg mit ohne Ruthard” steht damit für mich als Ausdruck vom schrittweisen Übergang des ‘physisch-realen’ Professors von Angesicht zu Angesicht, hin zum kleinen virtuellen ‘Ruthard-Introjekt’ und damit inneren Sparringpartner, den ich seither in mir trage:

Ich bin also auch jemand geworden der viel macht (wird mir gesagt). Oder anders, ich habe schon immer viel gemacht, nur habe ich geschafft, das viele Machen in großen Teilen auf meine zentralen bereichernden Lebensbereiche auszurichten, die mir Kraft geben: Meine Praxistätigkeit, Meine (Kern-)Familie und meine Forschungstätigkeit. Ich werde oft gefragt wie ich das (alles) schaffe, hier ein kleiner Erklärungsversuch:

In der Kernfamilie leben wir so gut wir können Struktur und Planung (s. dazu auch These 3). Vor allem das Konzept der kurzen Wege erleichtert unseren Lebensalltag bezüglich Schule und Vereinen der Kinder sowie die Arbeit und das Leben in einem Haus. Wir verhindern also so gut wir können das Dasein als ‘Elterntaxi’, um die Zeiten die wir gemeinsam haben qualitativ zu füllen.

Ich arbeite nun seit einiger Zeit in eigener Praxis als Familientherapeut, mache Traumatherapie als EMDR-Therapeut und Beratung für Unternehmerfamilien. Aber auch hier hält mich eine Erkenntnis, die ich in einer Supervision bei Ruthard mitgenommen habe im Gleichgewicht: „20% Zweifeln ist ok.“ Dies könnte demnach als 6. These hier aufgeführt werden oder eben als kleine Zugabe. Sie geht einher mit dem Paretoprinzip (80/20) und gibt dem Zweifler in mit einen konstruktiven Platz und Anteil im Sinne der Selbstreflexion. Daher lebe und arbeite ich seither mit dem Satz in einer neu gewonnenen Ruhe.

Mit der Doktorarbeit schließt sich für ein kleiner ‘systemischer’ Kreis. Arist von Schlippe hat das Vorwort von Ruthards Dissertation, “Die mehrgenerationale Entwicklung drogenabhängiger Lebensentwürfe”, geschrieben. Gleichzeitig tritt Heiko Kleve die professorale Nachfolge von Arist von Schlippe, der systemischen Traditionsprofessur (Vorgänger: Rudolf Wimmer und Fritz B. Simon) an der der Uni Witten/Herdecke (WIFU), an. Es fühlt sich also so an, wie ein kleiner Promotions-Staffelstab, der hier in Dresden an mich weitergereicht wird.

Ich möchte den Anlass heute aber auch nutzen um inhaltlich etwas zum Forschungsgegenstand meiner Promotion zu sprechen: Es handelt sich dabei um besondere Familien. Familien, die als Ausbeuter und Ratten und vieles mehr beschimpft wurden. Familien, die mit willkürlichen Gefängnisstrafen belegt wurden. Familien, die unter immensem Druck enteignet wurden und dennoch, soweit es überhaupt ging, unter dem staatlichen Radar agierten. Familien, die in den Westen geflohen sind und als es ging wieder zurück kamen. Familien, die aus der Zeit der Massenarbeitslosigkeit im Schatten der westlich-dominierten Treuhand die Flucht nach vorne ergriffen haben und mit 0 angefangen haben. Die Sprache ist von Unternehmerfamilien in Ostdeutschland.

Auch heute zeigt sich in meiner Forschung, dass diese Unternehmerfamilien weiterhin sehr binären Wahrnehmungen von Außen unterliegen. Entweder werden sie als reiche Kapitalisten abgestempelt, und das ist noch der bessere Fall, selbst wenn sie viele Jahre weniger verdient haben als ihre Mitarbeiter:innen oder im schlechteren Fall, wenn sie Pleite gehen oder aufgeben müssen, als Versager abgestempelt werden.

Diese Prägungen, Verletzungen und Belastungserfahrungen scheinen teilweise sehr tief zu sitzen. Es handelt sich also um eine gesellschaftliche Minderheit, die trotz fehlendem Kapital unternehmerisches Risiken eingegangen ist, in Ostdeutschland für Arbeitsplätze und damit Steuereinnahmen und damit Mittelherkunft sorgt, um den Sozialstaat mit zu finanzieren. Gleichzeitig aber auch gegen die Kapitalpotenz der westlichen Unternehmen zu bestehen hat. Die im Westen haben schließlich die 40 Jahre bundesrepublikanischen Vorsprung (Marshallplan) zuzüglich den Brain Drain aus dem Osten nach dem zweiten Weltkrieg, zuzüglich 35 Jahre Transformationsgesellschaft. In Zahlen heißt das: Von den 500 größten Familienunternehmen in Deutschland, haben etwa ganze 10 ihren Sitz in Ostdeutschland. Das wären etwa zwei Prozent. Ich finde diese Familien haben es also verdient sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit zu erfahren und ihre Narrative qualitativ in die Welt zu bringen.

Die Fragestellung, welche ich damit zu beantworten versuche ist: Wie haben diese Familien es geschafft nach 40 Jahren Sozialismus wieder bzw. weiterhin als Unternehmerfamilien zu bestehen bzw. überhaupt erst eine zu werden? Wie konnten und können sie insbesondere in der systemischen Verdopplungskomplexität als Familie und gleichzeitig Unternehmerfamilie Zusammenhalt leben? Wie wir wissen driften Familien tendenziell ja eher auseinander. Wie managen sie also den Zusammenhalt?

Meine Forschungsvision wäre damit, auch generalisierbare Antworten zu erhalten, für alle Formen und Typen von Familien, in einer hochpluralisierten und pulsierenden Gesellschaft. Gerade durch die aus den Interviews ersichtliche und vermutbare Resilienzkompetenz von ostdeutschen Unternehmerfamilien bin ich da gerade guter Dinge.

Des Weiteren verfolge ich mit meiner Forschung und beraterisch-therapeutischen Tätigkeit zumindest in dem mir möglichen Radius folgende Vision: Ich möchte dabei unterstützen individuelle und kollektive Belastungserfahrungen zu integrieren, damit wir als Menschen und Gesellschaft mehr Kapazität zur Verfügung haben, um darüber zu sinnieren und zu dem nach zu spüren was wir selbst brauchen und was andere brauchen und wir dadurch weniger in Kategorien denken müssen.

Am Beispiel der Arbeitswelt wäre dieser Zustand vielleicht am folgenden idealistischen Ziel verdeutlichbar: Am liebsten wäre mir eine Welt, in der es keine keine Lobbyvereine für Unternehmer:innen bräuchte und gleichzeitig auch keine Gewerkschaften, Betriebsräte, Personalräte. Einfach weil wir verstehen welche Nöte und Kontextbedingungen unsere jeweils Nächsten haben und uns entsprechend aufeinander zubewegen können.

In diesem Sinne danke ich Dir lieber Ruthard Stachowske (und der EHS und dem SOFI-Institut), vor allem dafür, dass Du mir, an wichtigen, aber für andere an fast unkenntlichen Stellen, den ein oder anderen kleinen Schubser verpasst hast (mich damit Wachgerüttelt hast). Damit kann ich heute in meiner eigenen Selbständigkeit als Familientherapeut und Systemischer Berater stehen und gleichzeitig viel Zeit mit der Familie leben, also dem nachgehen wofür ich ein Feuerchen spüre. Ich wünsche Dir viel Zeit für Deine Familie und fürs Segeln. Und wer bin ich das zu sagen: Ich finde Du hast es Dir mehr als verdient!